„Wohl kaum hat je ein Staatsakt, der eine neue Phase der Geschichte eines großen Volkes einleiten sollte, in so skurriler Umgebung stattgefunden“, schreibt einer der Väter des Grundgesetzes, der Staatsrechtler Carlo Schmid, in seinen Memoiren über das Geschehen im Zoologischen Museum Alexander Koenig. „In der Halle dieses in mächtigen Quadern hochgeführten Gebäudes standen wir unter den Länderfahnen – rings umgeben von ausgeschöpftem Getier aus aller Welt. Unter den Bären, Schimpansen, Gorillas und anderen Exemplaren exotischer Tierwelt kamen wir uns ein wenig verloren vor.“
Es ist der 1. September 1948, und das Ereignis, von dem Schmid hier erzählt, ist der Festakt zur Eröffnung des Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz für einen neuen Staat erarbeiten soll. Veranstaltungsort ist der Lichthof eines Naturkundemuseums. Archivfotos der Veranstaltung zeigen: ganz so urig geht es nicht zu: Die ausgestellten Tiere sind dank dichter Vorhänge nicht zu erkennen, nur vereinzelte Vitrinen mit Vögeln im Obergeschoss, und die Länderfahnen hängen eigentlich vor dem Museum. Aber dass der Ort skurril ist: das stimmt. Die Länderfahnen unterstreichen, dass es in den drei westlichen Besatzungszonen zu diesem Zeitpunkt bereits demokratisch legitimierte Parlamente gibt: Diese Parlamente haben die 65 Mitglieder des Rats gewählt, die sich nun erstmals begegnen.
Die Abgeordneten eint das ambitionierte Vorhaben, Lehren aus dem Scheitern der deutschen Demokratie im Jahr 1933 zu ziehen. Karl Arnold, als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Gastgeber der Eröffnungsfeier am 1. September 1948, ruft ihnen zu: „Denken Sie daran, dass dieses Grundgesetz den deutschen Menschen ansprechen muss, damit er ein inneres Verhältnis zu den Grundprinzipien staatlichen Lebens erhält. Es soll dem Einzelnen die Überzeugung geben, dass seine unveräußerlichen Menschenrechte verbrieft, gewahrt und mit allen Mitteln des Staates geschützt werden und er frei von Furcht und Angst leben und arbeiten kann.“