Gerd Ruge, WDR-Studioleiter von 1970 bis 1972, erlebt hier eine „ungewohnte Nähe zu den Politikern, die in Washington oder Moskau unerreichbar schien. Minister und Abgeordnete kamen auf einen Drink oder auf einen Teller Suppe vorbei, wenn sich die Gespräche manchmal bis in die frühen Morgenstunden hinzogen.“
Es ist beides gleichzeitig: ein nachbarschaftliches Vertrauens- und Spannungsverhältnis. Davon ist heute bis auf das Eckhaus, in dem sich einst das Bonner Büro des Spiegel befindet, nichts mehr sichtbar. Dort, wo der WDR sich befand, steht heute ein Parkhaus. Die Adressen sind nach der Umbenennung der Görresstraße in „Platz der Vereinten Nationen“ und eines Teils der Dahlmannstraße in „Carl-Carstens-Straße“ nicht mehr nachzuvollziehen. Und abends treten keine Abgeordneten und Pressevertreter mehr vor der gastfreundlichen Landesvertretungen Niedersachsens (später Sachsen-Anhalts) und Nordrhein-Westfalens beschwingt auf die Straße.
Selbst die 1867 gebaute „Villa Dahm“, in deren Park zwischen Dahlmannstraße und Görresstraße einst einige der Pressebaracken standen, muss für das World Conference Center Bonn weichen. Dabei schreibt auch diese Doppelvilla, in der zunächst unter anderem die Deutsche Presse-Agentur sitzt, mit an den informellen Kapiteln der bundesdeutschen Geschichte. Von 1955 bis 1999 ist sie Sitz der „Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft“. Die Gesellschaft will ein Rückzugsort nach britischem Vorbild sein, eine interfraktionelle und menschliche Begegnungsstätte, die den Rückfall der Parlamentarier in die unversöhnlichen Parteikämpfe der Weimarer Jahre vermeiden, persönliche Verletzungen heilen und Verständnis finden hilft.