Im Plenarsaal "Wasserwerk" wird 1989 der Fall der Mauer offiziell bekannt gegeben, 2007.

Plenarsaal „Wasserwerk“

Sitzungsort des Deutschen Bundestags
1986–1992

Der Deutsche Bundestag tagt von September 1986 bis Oktober 1992 im umgebauten Pumpenhaus eines alten Wasserwerks. Heute gehört das Gelände am Rheinufer zum UN Campus.

Im Sommer 1986 müssen die Mitglieder des Bundestags ihren gewohnten, 1949 gebauten Parlamentssaal im „Bundeshaus“ verlassen: Er wird abgerissen, weil an selber Stelle ein Neubau entstehen soll. Das Ausweichquartier liegt nur einen Steinwurf entfernt: das Pumpenhaus eines Wasserwerks, dessen Fassaden wie Zitate aus Kirchenarchitektur und Rheinromantik erscheinen. Von 1875 bis Ende der 1950er-Jahre wurde hier Grundwasser für den städtischen Bedarf gefördert. Danach dient es als Lager für ausgemusterte Möbel und Drucksachen. Die Gegebenheiten sind trotz des Umbaus noch enger als sonst. Nahezu familiär.

Hier erreicht den Deutschen Bundestag im Herbst 1989 die Nachricht vom Fall der Mauer in Berlin. An jenem 9. November 1989 versuchen die Abgeordneten, ihren Alltagspflichten nachzugehen, obwohl das Geschehen im Osten dramatisch ist. Seit Wochen setzen Massendemonstrationen das SED-Regime unter Druck, versuchen Menschen der DDR auf dem Umweg über Ungarn und die Tschechoslowakei zu entfliehen. Tausende von ihnen haben Zuflucht in der Botschaft der Bundesrepublik in Prag gesucht.

Schwarzweiß-Fotografie, ein großer Raum des Wasserwerks mit einer alten Pumpanlage, die bis in die 1950er Jahre Grundwasser fördert
Das Pumpenhaus des alten Wasserwerks wird bis Mitte der 1980er Jahre als Lagerraum genutzt.

Mitten in der Sitzung dann eine Nachricht: „Bevor ich zu meinem Thema komme“, sagt der CDU-Abgeordnete Karl-Heinz Spilker, der eigentlich zu einem Vereinsförderungsgesetz sprechen will, „möchte ich Ihnen eine Meldung vorlesen, die ich im Moment erhalten habe. […] Ab sofort können DDR-Bürger direkt über alle Grenzstellen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausreisen.“

Die Abgeordneten applaudieren. Sie führen eine geplante Abstimmung noch durch, unterbrechen die Sitzung für zwanzig Minuten. Anschließend verliest der Kanzleramtsminister eine Stellungnahme der Regierung, Vertreter aller Parteien äußern sich kurz. „Die Anwesenden“, vermerkt das Protokoll schließlich, „erheben sich und singen die Nationalhymne.“ Ein überwältigender Moment.

Mit der Wiedervereinigung, die nach Monaten zäher Verhandlungen im Oktober 1990 realisiert ist, wird es im Wasserwerk noch etwas enger als zuvor: auch die neuen Bundesländer schicken nun Abgeordnete nach Bonn. Sie müssen sich schon bald mit dem Hauptstadtthema befassen: „Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden.“ So steht es im Einigungsvertrag von 1990.

Blick auf den ersten gesamtdeutschen Bundestag im Plenarsaal des Wasserwerks in Bonn, die Parlamentarier in kreisrunder Sitzanordnung, mittig das Rednerpult, dahinter eine Wand mit großem Bundesadler und Schmuckfenstern
Am 5. Oktober 1990 tagt zum ersten Mal der gesamtdeutsche Bundestag im Wasserwerk.

Die zugehörige Debatte am 20. Juni 1991 im Wasserwerk dauert beinahe zwölf Stunden und ist geprägt von Emotionen. Das Ergebnis, verkündet um 21.49 Uhr: 320 Parlamentarier stimmen dafür, den Sitz von Bundesrat und Bundespräsident nach Berlin zu verlegen, 337 Abgeordnete wollen gleichzeitig, dass Parlament und Kernbereiche der Regierung umziehen.

Am 20. Juni 1991 verkündet Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das Ergebnis der Abstimmung. Die Mehrheit des Bundestags entscheidet sich für den Umzug nach Berlin.

Ausschlaggebend für die Mehrheit zugunsten Berlins soll unter anderem der Auftritt von Innenminister Wolfgang Schäuble gewesen sein. Er erinnert an den Symbolcharakter Berlins während des Kalten Krieges, an die Luftbrücke 1948, den niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17. Juni 1953, den Mauerbau 1961 und die Szenen des Jahres 1989/90: „Ich glaube, in den vierzig Jahren, in denen wir geteilt waren, hätten die allermeisten von uns auf die Frage, wo denn Parlament und Regierung sitzen werden, wenn wir die Wiedervereinigung haben, die Frage nicht verstanden und gesagt: Selbstverständlich in Berlin.“ Altkanzler Willy Brandt, während des Mauerbaus Oberbürgermeister von Berlin, geht nach der Rede demonstrativ nach vorne, gibt ihm ergriffen die Hand.

Dieser Ort ist Teil des Rundgangs Weg der Demokratie und des Parlamentswegs.

Wussten Sie schon ...

… dass Bundeskanzler Helmut Kohl bei der gemeinsam angestimmten Hymne im Bundestag am 9. November 1989 nicht in Bonn war? Er besuchte gerade Warschau, jenes Land, das die Umbrüche im Ostblock mitanstieß.